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Retraite 5. und 6.2.2018, Boldern

Laut eines Beitrags im Kunstjournal Artsy, sei die Frage nach der grössten künstlerischen Leistung des Jahres 2017 zweifelsfrei geklärt[1]. Diese Auszeichnung gebühre jedoch keiner Künstlerin, keinem Kurator, keinem Kollektiv, sondern einem Algorithmus. Im Februar 2017 gelang es Ahmed Elgammal im Art and AI Laboratory an der Rutgers Universität in New Jersey, einen «kreativen» Algorithmus so zu programmieren, dass die generierten Bilder für eine Gruppe an Probanden kaum von Beispielen zeitgenössischer Malerei unterscheidbar waren. Das sogenannte Creative Adversarial Network (kurz CAN) wurde anhand eines immensen Datensets an Bildern der Kunstgeschichte zwischen dem 15. Und 21. Jahrhundert  zunächst trainiert, Stile zu erkennen, um anschliessend selbst Bilder zu generieren. Der entscheidende Durchbruch besteht darin, den Algorithmus dahingehend zu programmieren, dass er genug vom Gelernten abweichen kann, um etwas Neues, «Eigenes» zu produzieren, gleichzeitig jedoch nah genug am Input zu bleiben, um das Produzierte noch als «Kunst» identifizieren zu können[2]. Elgammal ist überzeugt: «The machine developed an aesthetic sense, (…) it learned how to paint.»[3]. Die Ergebnisse, die im Oktober 2017 im STATE Pop-up Studio in Los Angeles ausgestellt wurden, rufen mit viel Fantasie Assoziationen mit verzerrten Gesichtern à la Francis Bacon, Farbkompositionen Max Ernsts und Mark Rothkos monochromen Flächen auf. Jerry Saltz, Kunstkritiker des New York Magazine, erinnerte eines der Werke an abstrakten Spätexpressionismus, jedoch verglichen mit menschlichen Produktionen, fand er das Beispiel schlichtweg «langweilig».[4]

Die Frage nach dem künstlerischen Wert der «algorithmischen Kunst» für einen Moment zurückgestellt – inwiefern kann man CAN als kreativ bezeichnen? Ist es seine Lernfähigkeit, sein «visuelles Gedächtnis», aus dem es schöpft? Ist es die Fähigkeit des Abweichens? Aber wenn auch diese einprogrammiert wurde – zählt es überhaupt als Abweichung? Ist es das Ergebnis, was zählt?

Spätestens nach Garry Kasparovs Niederlage im Schach gegen einen Computer scheint die Kreativität als exklusive Fähigkeit des Menschen – zumindest im Sinne der geläufigen Definition – infrage gestellt worden zu sein. Doch muss Kreativität notwendigerweise lösungs- und ergebnisorientiert sein, um als solche zu gelten? Welche Rolle spielt der Begriff des Potentials in der Diskussion um Demarkierungsmöglichkeiten zu algorithmischen Funktionsweisen?

Nach wie vor kann ein künstliches neuronales Netzwerk nur «erlernen», was vom Menschen vorgegeben wird. Sobald wir jedoch eine universelle Definition ästhetischen Denkens als «Gebrauchsanleitung» an einen AI füttern würden, bewiese es ihre Ungültigkeit, oder müssten wir eingestehen, dass unsere Fähigkeit doch nicht so exklusiv ist?

Gleich, ob die Leistung der Maschinen der menschlichen kreativen Schöpfung nahe kommt oder nicht, Beispiele wie die des CANs illustrieren die Herausforderung, Funktionsweisen künstlicher neuronaler Netzwerke von menschlicher ästhetischen Praxis zu demarkieren und fordern nach einer Neubefragung von Begriffen wie Intuition, Imagination, Inspiration und nicht zuletzt Kreativität.

 

Nachwort zur Retraite von Henryetta Duerschlag

 

[1] Rene Chun, «It’s Getting Hard to Tell If a Painting Was Made by a Computer or a Human», Artsy, 21. September 2017, https://www.artsy.net/article/artsy-editorial-hard-painting-made-computer-human.

[2] Ahmed Elgammal u. a., «CAN: Creative Adversarial Networks, Generating ‹Art› by Learning About Styles and Deviating from Style Norms», arXiv:1706.07068 [cs], 21. Juni 2017, http://arxiv.org/abs/1706.07068.

[3] Ahmed Elgammal in: Chun, «It’s Getting Hard to Tell If a Painting Was Made by a Computer or a Human».

[4] «How Does A.I. Art Stack up against Human Art?», VICE News, zugegriffen 7. März 2018, https://news.vice.com/en_us/article/ywqw8j/how-does-ai-art-stack-up-against-human-art.