Episteme der Kunst

Projektleitung: Dieter Mersch

Das Teilprojekt ‚Episteme‘ untersucht den Zusammenhang von Kunst und Wissen unter den Prämissen ästhetischen Denkens. Wann werden Praktiken zu Wissenspraktiken? Um welche Art von Wissen handelt es sich? Wie verhalten sich Ästhetik und Kunst sowie Kunst und Wissenschaft zueinander? Wie lässt sich eine Epistemologie des Ästhetischen systematisieren? Die Grundthesen des Projekts beruhen darauf, propositionales von nichtpropositionalem Wissen zu trennen und die spezifisch künstlerische Form des Wissens als Reflexionswissen auszuweisen. Dabei entsteht Reflexionswissen typischerweise an Umschlagspunkten, Kippmomenten oder aufgrund von Vexierungen, die ihren eigentlichen ‚Witz‘ ausmachen. Es gibt damit unter dem Obertitel ‚Episteme‘ einen inneren Zusammenhang zwischen den Teilprojekten ‚Inspiration‘, ‚Witz‘ und der ‚Multimodalität von Praktiken‘.

Der Witz als Praxis ästhetischen Denkens

Der im Subprojekt A: «Praktiken ästhetischen Denkens» angesiedelte Forschungs­schwerpunkt fragt nach dem epistemischen Potential eines Witzes der Kunst. Warum lacht man oftmals angesichts von Kunst auf – sowohl unwissend warum als auch jenseits etablierter Konzepte eines witzigen (Ver-)Lachens? Wenn es in diesem Lachen nicht darum gehen soll, die Kunst zu verlachen, ihr ihren Status abzusprechen oder darum, dass Kunst explizit einen Witz gemacht hätte, – vermag dann Lachen nicht eher anzuzeigen, dass eine Weisheit der Kunst im Sinne Adornos «blitzartig» einleuchtet? Blitzt im «Witz» eine Pointe von Kunst auf, indem ihr eigenes und eigen­sinniges Denken erscheint?

Um den «Witz der Kunst» als eine aisthetische Klugheit zu konturieren, rückt das Vorhaben erstens durch von komik­theoretischen Bestimmungen des Witzes ab, da diese von einem Sprach­primat geleitet sind. Zweitens wird aufgezeigt, dass und wie in der Komiktheorie ebenso wie in älteren Defini­tionen von «Witz» – z.B. als ingenium, als rhetorische euphyia (Aristoteles), als Verähnlichungs­vermögen (Kant), als acutezza (Gracían) oder als Spiel mit Sprache und Urteil – der aisthetische Aspekt von «Witz» ebenso umgeht (sprich: sich zeigt) wie er negiert wird: In den erzählten Witzen der Komik­theorie spielen nämlich nicht allein Sprache und Urteil so, dass demjenigen, was als normale Praxis gilt, der Grund entzogen ist, sondern auch die Medialität und Materialität von Sprache. Deshalb mag tatsächlich jeder Witz potentiell aufschluss­reich sein. Ästhetisch denkend wird «Witz» dagegen erst dann, wenn in ihm die medialen und materialen Differenzen, die im Sprechen oder Schreiben, Malen, Tanzen, Performen, Fotografieren und Filmen (etc.) am Werke sind neu ins Werk gesetzt werden. Sie erscheinen (im jeden Wortsinn) für die ästhetische Praxis ausschlag­gebend: Ein Klang, ein Rhythmus, ein Aussehen, ein Körper, eine Bewegung, eine Stimme, eine Sichtbarkeit, eine Hörbarkeit, eine Stille, ein Ding, ein Material, ein Anderes. Drittens wird in einer Auseinander­setzung mit Differenz­theorien für diese Produktions­ästhetik eine spezifische Figur von Differenz konturiert. Denn die epistemische Pointe von «Witz» liegt für die Kunst darin, dass eine aisthetisch-präsente différance eine Neukonfi­guration von medialen und materiellen Differenzen in Gang setzt, in denen sich Denken zu re- und de-formieren vermag. Viertens werden künstlerische Praktiken und künstlerische Arbeiten analysiert, in denen sich ein »Witz der Kunst zu exponierten vermag.

Die Projektleitung hatte zu Beginn des Projektes Dr. Mira Fliescher inne. Leider ist Mira Fliescher im Sommer 2017 verstorben. Das Teilprojekt wird nun umgewidmet und ab 2018 neu bearbeitet.

Inspiration als Praxis ästhetischen Denkens

Projektleitung: Michael Mayer

Der im Rahmen des Forschungsprojekts «Praktiken ästhetischen Denkens» (Arbeitsgruppe A) angesiedelte Forschungs­schwerpunkt «Inspiration als Praxis ästhetischen Denkens» fragt nach den Bedingungen schöpferischer Prozesse und der von diesen Bedingungen her zu diskutierenden Problematik ihrer Formalisierung, Standar­disierung und Algorithmi­sierung. Dabei soll es erstens darum tun sein, die Model­lierung menschlicher Kreativität durch «Experten­systeme», die dadurch in die Lage versetzt werden sollen, schöpferische Prozesse der «natürlichen Intelligenz» künstlich zu generieren, zu hinterfragen und die Konsequenzen einer durchgängigen Digitalisierung der Sozial- und Lebenswelt am Phänomen der «Inspiration» exemplarisch zu diskutieren. Versteht man «Digitalizität» nicht nur instrumentell als Ensemble rekursiver Rechenoperationen mittels binärer, diskretisierter und quantisierter Zeichen, sondern als ein Medium sui generis, das die Wirklichkeit, die es zur Darstellung bringt, hervorbringt, dann stellt sich die Frage nach dessen performativen Effekten für das menschliche Selbst- und Welt­verständnis im Ganzen. Die anthropo­logischen Implikationen des Digitalen sollen dabei zweitens in den Kontext des Geniebegriffs des 18. und 19. Jahrhunderts gerückt werden, an dessen Konzept des autonomen Selbst­schöpfertums des neuzeitlichen Subjekts noch die gegenwärtigen Kreativitätsmodelle der KI-Forschung implizit anknüpfen, um sie technisch zu simulieren, zu modifizieren und zu radikalisieren. «Inspiration» gilt dabei drittens als Anzeige einer strukturellen Defizienz dieser Kreativitätsmodelle, die die pathischen, passiven und rezeptiven Bedingungen schöpferischer Prozesse marginalisieren und dadurch verfehlen. Die Bedingungen sollen im Begriff der «Passibilität», verstanden als Empfindlichkeit für den Empfang eines Datums, bevor es als Etwas überhaupt zum Gegenstand seiner Erkenn­barkeit werden kann, gebündelt und auf seine subjekt­theoretischen, medien­philosophischen, aisthetischen und ästhetischen Konsequenzen hin transparent gemacht werden.